Bis vorgestern waren es hier in NY noch 25 Grad (Celsius) und in vielen Büros war diese Woche sogar noch die Klimaanlage eingeschaltet. Doch nun wird endgültig auf Herbst umgeschaltet und das heisst: Halloween! In allen Läden finden sich falsche Totenschädel, Plastik-Grabsteine und anderer Tand und Kitsch. Gleichzeitig tauchen auch die ersten Weihnachtsbäume in den Auslagen auf, das ergibt schon eine seltsame Mischung. Im Central Park gibt es gleich mehrere Eislaufbahnen, auch wenn die doch noch sehr mit dem Sonnenschein zu kämpfen haben und tagsüber voller Wasserpfützen sind.
Um mich in die Gebräuche der Eingeborenen einzuweihen hat Kathryn einen Kürbis besorgt und ich musste unter ihrer Aufsicht zuerst die Innereien auskratzen (das Hirn) und dann ein schauriges Gesicht schnitzen. Getauft wurde der Kürbiskopf auf den Namen Reginald und morgen geht es zur ersten Halloween-Party.
Am 16. September fand in New York auf der Fifth Avenue die deutsche Parade statt. Weil ich auch letztes Jahr schon diesem traurigen Schauspiel beiwohnen musste war ich auf das Übelste vorbereitet. Diesmal marschieren die heimwehkranken Deutschen aber zum 50sten mal durch Manhattan, daher sollte alles noch größer und schlimmer werden. Schirmherr ist diesmal Henry Kissinger, der lebende Beweis, dass man 60 Jahre in den USA leben kann ohne seinen deutschen Akzent zu verlieren. Und auch der Bundes-Helmut war angekündigt. Helmut und Henry! Repräsentiert von diesem frischen und hippen Päärchen kann das ja nur 'ne coole Party werden!
Da ich hier nun mal Deutscher im Exil bin betrachte ich es als meine Pflicht (und eine Art Mutprobe) dieser Veranstaltung beizuwohnen. Also durchqueren wir samstags um die Mittagszeit den Central Park in Richtung Parade. Von Weitem dröhnt uns bereits Ooommpaa-Musik entgegen. Wir nähern uns vorsichtig dem unheiligen Spektakel und richtig: Lederhosen und Uniformen in rauen Mengen walzen die Fifth Avenue entlang. Dazu passt auch der Namenspatron der Veranstaltung: Baron von Steuben, ein preussischer Offizier der unter Washington diente und der amerikanischen Armee erstmals Zucht und Ordnung beibrachte. Angeblich sprach er nicht wirklich Englisch, aber seine Persönlichkeit und die Vorliebe in wahlweise Deutsch und Französisch zu fluchen und zu brüllen taten auch so ihre Wirkung. Warum in aller Welt schaffen es Brasilianer und Dominikaner und so ziemlich jede andere Nation die Strasse voller knackiger Mädels und Samba-Rhythmen zu zaubern, während die Deutschen nur Uniformen, Schützenvereine und einen Altersschnitt jenseits jeder Rentendiskussion beisammen kriegen?
Dabei haben wir doch während der WM2006 gezeigt, dass wir es besser können! Also Kopf hoch! Die Neue Deutsche Leichtigkeit ist nur noch nicht bis nach New York vorgedrungen. Wenn man hier Alkohol trinken dürfte, wäre die ganze Sache ja auch viel leichter zu ertragen. Und daran, dass man hier in der Öffentlichkeit kein Bier konsumieren kann ist ja doch wieder der Amerikaner schuld. Dicke-Backen-Musik funktioniert nunmal nicht ohne leichte Alkoholvergiftung. Wie soll man zünftig feiern, wenn man sich nicht ein wenig blöd trinken kann? In diesem Sinne haben wir uns baldigst von der Parade verabschiedet um uns Zuhause mit ein paar Freunden über einige Franziskaner Weizen herzumachen. Eine gute Entscheidung ... ach ja, Bilder von der Parade gibt es diesmal in der Galerie Prost!
Im August waren wir zwölf Tage im wohlverdienten Urlaub in Florida. Jeder Amerikaner dem man das erzählt schüttelt erstmal den Kopf. Der Sommer ist in Florida Nebensaison, ist nämlich wirklich brütend heiss dort. Der "Sunshine-State" ist von Juni bis September wie leergefegt, in den Strandorten in Florida arbeitet nämlich niemand so richtig. Da gibt es nur haufenweise reiche Rentner und Leute die Hotels betreiben - und endlos lange Sandstrände.
Also habe ich mich als emanzipierter Europäer - sehr zu Kathryns Amusement - gelegentlich in echter Badekluft an den Strand getraut. Ein bisschen bange war mir dabei schon zumute, bin ja hier nur geduldet, ein "non-resident alien", ruckzuck wird man mit 20 illegalen Mexikanern über die Grenze abgeschoben. Und das in Badehosen; wäre mir schon peinlich.
Die Strände in Florida sind schon fantastisch, wir haben die meiste Zeit in Fort Lauderdale verbracht. Da gibt es nette Bars und riesige Yachten zu bestaunen. An der sogenannten Cocoa Beach zwei Stunden nördlich bekommt man gelegentlich ein besonderes Schauspiel geboten. Dieser Strand liegt nämlich nicht weit von Cape Canaveral entfernt, der Launchsite für die Space Shuttles. Weil für den 8. August ein Shuttle Start geplant ist entschliessen wir uns einen kleinen Ausflug zur "Space Coast" zu machen. In der Presse war ja ausführlich nachzulesen das amerikanische Astronauten gerne mal einen trinken gehen bevor es losgeht. Also finde ich mich wenige Minuten vor dem Start tagträumed am Strand wieder: ich stelle mir vor wie die sturzbetrunkenen Space Cowboys gerade von fleissigen Helfern aus der Bar ins Raumschiff getragen werden. Schnell noch 'n paar Aspirin einwerfen, A....backen zusammenkneifen, "God bless America" und ab geht's!
Und tatsächlich können wir vom Strandlaken aus pünktlich um 18:36 das Raumschiff 'gen Himmel aufsteigen sehen. Sieht aus wie ein Feuerball der eine merkwürdig gekrümmte Flugbahn beschreibt. Kein Wunder, mit vier Promille im Blut könnte ich wohl auch nicht geradeaus fliegen. Ein paar Sekunden später folgt ein tiefes Grollen und nach einer Minute ist der Spuk vorbei.
Es gibt das Gerücht, dass man in New York wirklich alles finden kann was das Herz begehrt wenn man nur weiss wo man suchen muss.
Wenn man gerade keine Lust auf Museen und Kultur hat, gibt es auch einige Strände die per Subway erreichbar sind. Also machen wir uns eines sommerlichen Samstag Morgens auf den Weg zur Coney Island Beach.
Eigenlich ist Coney Island gar nicht so weit weg, da aber das baufällige New Yorker U-Bahn-Netz jedes Wochenende notdürftig geflickt wird brauchen wir fast zwei Stunden bis zum Strand. Die erste Sehenswürdigkeit ist Nathan's Fressbude, der offizielle Veranstalter des berühmten jährlichen Hot Dog Wettessens (dazu später mehr). Wir genehmigen uns je einen Hot Dog als Wegzehrung und machen uns auf den Weg zum Strand. Coney Island hat den Ruf ein sehr seltsames Publikum anzuziehen, dazu trägt sicherlich der altertümliche Vergnügunspark bei mit einer hölzernen Achterbahn, Geisterbahnen und allerlei Attraktionen die vor vierzig Jahren mal aufregend waren. Es gibt Investoren die den alten Park komplett abreissen und modernisieren wollen. Man befürchtet eine Disneyfizierung wie sie heute beim Times Square allgemein beklagt wird. Daher gibt es eine Protestbewegung der Freaks die den Strand heute bevölkern unter dem Slogan "Keep Coney Island weird".
Um kurz nach zwölf Uhr Mittags geht es los, die Sportler werden vorgestellt. Da gibt es den Gewinner im Geburtstagskuchen-Essen, eine Schnitzel-Weltmeisterin und diverse Hamburger-Champions. Aber jeder weiss, dass heute nur der "menschliche Tsunami" Kobiyashi aus Japan und der kalifornische Newcomer Joey Chestnut ernsthafte Siegeschancen haben. Kobiyashi ist in Japan ein grosser Star und hat die letzten fünf Jahre gewonnen aber dieses Jahr hat er Probleme mit einem Weisheitszahn und konnte angeblich bis kurz vor dem Wettbewerb nich einmal den Mund aufmachen. Alles egal, jetzt geht es um die Wurst. Die Athlethen haben zwölf Minuten Zeit sich so viele Hot Dogs wie möglich einzuverleiben. Dabei muss das Brötchen mitgegessen werden. Der Startschuss fällt und die Jungs und Mädels beginnen sich mit unglaublicher Geschwindigkeit die Würstchen in den Rachen zu schieben. Durchnschnittlich alle 12 Sekunden verschwindet ein Hot Dog und dazu benutzt man Unmengen Wasser um auch die Brötchen runterzukriegen. Das Ganze sieht nicht sehr appetitlich aus. Die Rekordmarke vom lezten Jahr liegt bei 53 Hot Dogs, wird aber von den beiden Favoriten geradzu pulverisiert. Am Ende siegt der Amerikaner mit 3 Würstchen Vorsprung und die Schiedsrichter werten 66 Hot Dogs als vollständig vertilgt! Der Kommentator ist ausser sich vor Freude und erklärt den kalifornischen Allesfresser zum "True American Hero". Die wichtigste Krone im internationalen Sport ist damit zum ersten Mal in diesem Jahrtausend an einen Amerikaner gegangen.
Als wir Anfang April endlich die Schlüssel überreicht bekamen mussten wir mit der Wohnungseinrichtung bei Null anfangen. Kathryn hatte bisher in einem möblierten Zimmer gewohnt und brachte daher kaum Einrichtungsgegenstände mit. Tja, und da in Manhattan kein Platz für vernünftige Möbelhäuser ist, taten wir was alle jungen Leute weltweit tun: wir besorgten uns einen IKEA Katalog und stellten uns ein stattliches Ensemble an Billys, Ramviks, Bennos, Mikaels und dergleichen zusammen. In New Jersey gibt es gleich zwei IKEAs mit einem kostenlosen Shuttle Service vom Port Authority Terminal. Wenn im Herbst neue Studenten an der Columbia University eintreffen wird sogar ein ein gesonderter Busverkehr organisiert, es gibt wirklich keine preisgünstige Alternative im Big Apple. IKEA rules!
Also fahren wir Freitags morgens los in Richtung Jersey mit einer detailierten Einkaufsliste und dem festen Entschluss keine Zeit zu verschwenden und am frühen Nachmittag mit unserer Beute zurück in Manhattan zu sein .... wie naiv.
Auf der Fahrt zu Ikea wird uns klar warum man so viele Witze über New Jersey hört, das Industriegebiet um IKEA muss der trostloseste Fleck der Welt sein (inklusive Tschernobyl und Berzahn), Schrottplätze und Müll soweit das Auge reicht.
Egal, voller Tatendrang stürmen wir in die Ausstellungshalle. Als erstes müssen wir feststellen dass vor dem Sofa das wir uns ausgesucht haben haufenweise "Klippan ausverkauft"-Schilder stehen. OK, also umdisponieren. Leider bleibt das nicht das einzige Möbelstück bei dem es uns so ergeht. Nach einigen Diskussionen mit den freundlichen IKEA Mitarbeitern stellen wir fest, dass es von Jersey nach Schweden doch etwas weiter ist. Das Bett "Malm" gibt es nur in Queensize in Birke, den Nachttisch "Ramberg" haben sie nur in schwarz, "Bengt" gibt es erst wieder im Herbst und den Kaffeetisch "Ivår" kann man nur bei Vollmond kaufen. Hinzu kommt, dass die hiesigen Ikeanis ernsthafte Probleme mit der Aussprache der skandinavischen Namen haben und man permanent das Gefühl hat, dass sie einem eine schwedische Sexualstraftäter-Kartei vorlesen. Dafür gibt es das Sofa "Klippan" doch. Auf die Frage warum überall "Klippan ausverkauft"-Schilder herumstehen antwortet man uns die stünden halt immer da ... klar, wenn man Schilder hat auf denen "Klippan ausverkauft" steht stellt man sie zu den Klippans, wohin auch sonst. Das Schlimme ist, wenn man einige Zeit in NY verbracht hat fängt sowas an Sinn zu ergeben; erschreckend!
Als ich die Liste fertig habe fragt mich Kathryn entgeistert was das alles sei und wozu man das braucht. Ich erkläre ihr die einzelnen Teile und muss mir anhören, dass ich das alles getrost vergessen kann weil es unnötig ist. Die Häuser in New York sehen zwar imposant aus, bestehen aber im wesentlich aus ein paar Stahlrohren und Pappe. Nägel kann man hier mit dem kleinen Finger in die Wand drücken und mit einem Schlagbohrhammer ganze Gebäude einreissen. Ich bin den Tränen nahe und erkläre ihr, dass man im Westerwald eine Bohrmaschine braucht um sich als Mann zu fühlen. Ausserdem würde mich meine Familie verstossen wenn sie erführen, dass ich keinerlei Werkzeug besitze. Möglicherweise würde mir mein Vater auch ein Care-Paket mit einem Bosch Bohrhammer schicken.
Nach zähen Verhandlungen erlaubt sie mir einen Akkuschrauber (nur um meine Männlichkeit zu retten) und ein kleines Werkzeugset zu erwerben. Eine geradezu armselige Kollektion für einen Wäller Buben - in New York könnte man damit eine Bauunternehmung gründen - aber es reicht um sämtliche Schwedenmöbel zu montieren. Auf unserem IKEA Streifzug haben wir so viele verschiedene Arten von Furnieren eingesammelt, dass wir nun einen hübschen Mischwald im Wohnzimmer stehen haben. Wir nennen es den "Fakewood Forrest" (Kunstholzwald), denn ein echtes Stück massives Holz ist nicht dabei.
Neben dem Kampf mit Maklern und Mietpreisen gibt es aber noch andere Dinge zu berücksichtigen: die Suche nach der richtigen "Neighborhood". In der ersten Woche bietet man uns eine tolle Wohnung in einem Hochhaus direkt am Central Park an - für nur 1700$ im Monat, ein echtes Schnäppchen! Aus einem der Fenster kann man sogar ein kleines bisschen Baum sehen und der Baum gehört zum Central Park! Ich bin ganz aufgeregt und würde am Liebsten gleich zuschlagen aber irgendwie scheint uns das nicht ganz geheuer und wir wollen erstmal mit Kollegen reden was die von der Gegend halten. Tja, und tatsächlich müssen wir vernehmen, dass es da unten keine gute "Neighborhood" sei. Das ist die New Yorker Umschreibung für Geh-da-nachts-nicht-auf-die Strasse-ohne-automatische-Waffe. Nun gut, also wird es wohl nix mit Blick auf den Central Park. Mir ist bis heute nicht klar warum eine "Neighborhood" schlecht ist, und eine andere nicht. Manchmal sind gute und schlechte "Neighborhoods" nur einen Block voneinander entfernt. Wie läuft das denn? Werden die Bösewichter hier mit Karten von Manhattan ausgestattet? Haben die Taschendiebe Arbeitsverbot in einer guten "Neighborhood"? Was passiert wenn ein Schurke sich veriirt und man in einer guten Neighborhood beklaut wird? Kriegt man sein Geld dann wieder?
Erfahrene New Yorker können eine gute Neigborhood von einer schlechten unterscheiden sobald sie den Fuss aus der U-Bahn gesetzt haben, aber mir als gebürtigem Westerwälder geht dieser Instinkt völlig ab. Hey! Eines muss mal klar gestellt werden: im Westerwald gibt es keine schlechten Neighborhoods! Um mir als unbedarftem Bauernlümmel trotzdem eine Faustregel mit auf den Weg zu geben bringt Katie mir bei nach Starbucks Coffee Shops Ausschau zu halten. Denn (merke!) "Starbucks würde niemals in eine schlechte Neighborhood gehen". OK, von nun an versuche ich wenn wir wieder mal unterwegs zu einer Wohnungsbesichtigung sind fieberhaft eine Starbucks Filiale zu sichten und freue mich jedesmal diebisch wenn mich das freundliche grün-weisse Logo anlacht.
Nach zwei Wochen im Mietdschungel von Manhattan haben wir uns zumindest auf die Gegend eingeschossen. Wir wollen in den nördlichen Teil von Manhattan ziehen, weil ich berufsbedingt des öfteren in ein Labor upstate von New York pendeln muss und weil die Mietpreise dort deutlich niedriger sind als Midtown oder gar Downtown. Und dann geschiet das Wunder, man bietet uns eine frisch renovierte Wohnung in Washington Heights an. Mit neuer Küche und Bad. Und das Beste: die nächste Starbucks-Filiale ist nur 100m entfernt, was für ein Volltreffer! Die Wohnung ist ganz in der Nähe der George Washington Bridge die sich recht imposant über den Hudson streckt.
Der Makler ist ein gutgekleideter Dummschwätzer um die Vierzig der selbst mehr als hundert Jahre in dieser Gegend gelebt hat und sämtliche Leute in der "Hood" persönlich kennt. Und er lädt uns zu Starbucks ein um die "Bewerbung" auszufüllen, wenn das mal kein Zeichen von Seriösität ist (er kennt auch den Chef der Starbucks Filliale seit vor dem ersten Weltkrieg, oder so). Den Hausverwalter lernen wir auch gleich kennen, der spricht zwar kein Wort Englisch lebte aber - laut unserem gesprächigen Makler - schon hier im Keller bevor das Haus irgendwann im 19ten Jahrhundert gebaut wurde.
Ein paar Tage später erfahren wir, dass unsere Bewerbung erfolgreich war, Jippihh! Wir treffen unseren Makler in seinem Büro an der 79ten Strasse und unterzeichnen einen New York Standard Mietvertrag. Das ist ein 20-Seiten Monster im Grossformat mit dem man seine Seele im Kleingedruckten Luzifer vermacht. Wenn man in Manhattan eine Wohnung gefunden hat stört man sich nicht mehr an Kleinigkeiten und unterschreibt alles. Zum Beispiel, dass im Gebäude Bleirohre verbaut sein können, dass die Wandfarbe Asbest enthalten kann und dass offiziell 80% des Fussbodens mit Teppich bedeckt sein muss. Wenn einem eine Klimaanlage aus dem Geschoss oben 'drüber auf den Kopf fällt ist man auch selbst schuld. Alles unwichtig wenn man die richtige Neighborhood gefunden hat.